Jeden Tag treffen wir eine Vielzahl von kleinen und großen, wichtigen und minder wichtigen Entscheidungen. Hierbei greifen wir auf unser Wissen und auf unsere Erfahrungen zurück, die gefärbt und gelenkt sind von unseren Gedanken und Gefühlen.
Auch wenn wir davon ausgehen, dass wir objektiv und unvoreingenommen vorgehen, so unterliegt unsere Entscheidungsfindung doch immer unserer ganz eigenen Sichtweise – die fehlerbehaftet sein kann. Nur allzu oft erliegen wir in unseren Denkmustern sog. Denkfehlern, die von uns automatisiert, unbewusst und immer wieder wiederholt werden.
Wissenschaftlich untersucht wurden diese Denkfehler bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts von renommierten Psychologen; an Aktualität büßen sie aber auch heute nichts ein. Ihre Experimente zeigen uns in eindrücklicher Weise, wie unser Gehirn immer wieder auf dieselben Denkfehler hereinfällt.
Veranschaulicht werden die Denkfehler anhand der klassischen Experimente und Beispiele aus den Standardwerken der Psychologie, die auch immer wieder in populärwissenschaftlichen Büchern und Zeitschriften beschrieben werden.
Systematisiere dein Entscheidungsprozess und schütze dich vor Denkfehlern
Im Gegensatz hierzu findest du die Denkfehler zur praktischen Handhabung in Kürze, auf den Punkt gebracht und kategorisiert. Das Ziel ist es, dich für die Mechanismen zu sensibilisieren und dich dabei zu unterstützen, deine eigenen Denkfehler aufzuspüren. So kannst du deine zukünftigen Entscheidungen bewusster, systematischer und effektiver treffen, ohne erneut in die Falle der Denkfehler zu tappen.
Welche psychologischen Denkfehler können Dir bei einer Entscheidung passieren?
Selbstüberschätzung
Selbstüberschätzung beschreibt den Unterschied zwischen dem, was wir wirklich wissen und dem, was wir denken zu wissen. Wir neigen dazu, unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu überschätzen, und zwar so gut wie in allen Lebensbereichen. Interessanterweise tritt eine Selbstüberschätzung des eigenen Wissens und Könnens v.a. bei schwierigen, weniger bei einfachen Aufgaben auf.
Versunkene Kosten
Ausgaben, die getätigt wurden und nicht mehr beeinflusst werden können, sind “versunkene Kosten”. Diese Investitionen – sei es Geld oder auch Zeit – lassen sich nicht wieder reinholen. Bei einer Entscheidung, ob wir eine Sache oder ein Projekt fortsetzen, dürfen diese “versunkenen Kosten” rational keine Rolle spielen. Entscheidungen sollten nur auf Basis aktueller Begebenheiten und der Betrachtung zukünftiger Kosten und Erträge getroffen werden. Wir handeln dennoch oft anders, frei nach dem Motto: “ich habe doch schon so viel investiert…” Die irrationale Hoffnung auf eine Besserung der Situation verleitet uns dazu weiterzumachen, durchzuhalten, neu zu investieren.
Illusorische Kausalität
Kausalität beschreibt den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Ein einfaches Beispiel dazu: Weil die Sonne scheint, ist es heiß. Solch einfache (oft in der Physik und anderen Naturwissenschaften zu findende) Kausalitäten erkennen wir leicht. Doch mit der gleichen Leichtigkeit bilden wir falsche Kausalitäten und können dadurch falsche Entscheidungen treffen. Wieder ein einfaches Beispiel: Durch einen neuen und gut ausgebildeten CEO sind die Unternehmensgewinne gestiegen. Aber stimmt das? Oder sind vielmehr andere Gründe dafür verantwortlich, z.B. die gute Wirtschaftslage oder wurden in den letzten Jahren neue Produkte entwickelt, die mittlerweile für gute Umsätze sorgen?
Treten zwei Bedingungen zeitgleich auf, neigen wir voreilig zur Annahme einer sog. Scheinkausalität. Wir verwechseln also Kausalität (Ursache-Wirkung) mit Koinzidenz (gemeinsames Auftreten von zwei Bedingungen, die nicht miteinander assoziiert sind).
Unabhängige und abhängige Ereignisse
Auf unabhängige Ereignisse treffen wir im Glücksspiel, wie beim Roulette: mit jedem Wurf hat die Kugel eine 50/50 Chance entweder auf rot oder auf schwarz zu fallen. Auch wenn die Kugel bereits sieben Mal hintereinander auf schwarz fiel, besteht auch beim achten Mal wieder die Chance 50/50 Chance, dass die Kugel auf schwarz oder rot fällt. Im Glückspiel sind die Geschehnisse (neue Würfe) immer wieder voneinander unabhängig. Dasselbe gilt für die Lottozahlen: Wenn in einer Ziehung beispielsweise die 20, 21 oder 22 als Gewinnzahlen gezogen wurden, haben diese Zahlen die gleiche Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Ziehung erneut gezogen zu werden. Jede Lottokugel hat ganz unabhängig von der vorherigen Ziehung immer wieder dieselbe Chance.
In unserem Alltag treffen wir hingegen vornehmlich auf abhängige Geschehnisse: Was in der Vergangenheit geschah, hat einen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung.
Welche psychologischen Denkfehler können Dir bei Einschätzung von Menschen passieren?
Menschen beurteilen nach Taten
Wir lassen uns nur allzu oft blenden von den Worten anderer Menschen und sollten uns ebenso selbst hinterfragen, wie schnell wir zu Übertreibungen, Ausschmückungen und positiver Selbstbeschreibung neigen. So schrieb der deutsche Dichter und Lyriker Matthias Claudius trefflich: “Beurteile einen Menschen lieber nach seinen Handlungen als nach seinen Worten; denn viele handeln schlecht und sprechen vortrefflich”.
Dunning Kruger-Effekt
“Nur der Weise weiß, dass er nicht weiß” (Platon). Inkompetente Menschen überschätzen ihr eigenes Wissen und Können und sind darüber hinaus unfähig, ihre Inkompetenz zu erkennen. Dieser Effekt ist nach den Psychologen Dunning und Kruger benannt, die dieses Phänomen erstmals an Studenten untersuchten: Ausgerechnet diejenigen Studenten, die die schlechtesten Testergebnissen erzielten, schätzten sich selbst als überdurchschnittlich gut ein. Sie blieben sogar bei ihrer Einschätzung, wenn sie zuvor die Fragebögen der besten Studenten einsehen durften – die Unfähigkeit, ihre eigene Leistung realistisch einzuschätzen, hielt sich also hartnäckig.
Forer-Effekt / Barnum-Effekt
Allgemeingültige und vage Aussagen empfinden die meisten Menschen als für sich zutreffend. Das ist die Grundlage für Horoskope und populärwissenschaftliche Persönlichkeitstest. Das klassische Experiment hierzu stammt vom amerikanischen Psychologen Forer, der seinen Studenten eine vermeintlich individuelle Charakterbeschreibung auf Basis eines Persönlichkeitsfragebogens vorlegte. Tatsächlich erhielten jedoch alle Studenten denselben Text.
Interessanterweise bewertete die Mehrheit der Studenten die Zuschreibung als für sie passend. Der Grund dafür, dass sich viele von uns in solchen Beschreibungen wiederfinden, ist, dass eine solche Beschreibung bestimmte Merkmale aufweist: Allgemeingültigkeit (“Sie haben Stärken/ Schwächen”), positive Eigenschaften (“Sie sind selbstkritisch/ unabhängig”) oder “sowohl-als-auch-Eigenschaften (“gesellig aber auch gern allein”).
Welche psychologischen Denkfehler können dir bei der Betrachtung deines Umfeldes passieren?
Selektive Aufmerksamkeit
Wir glauben, dass wir alles was sich vor unseren Augen abspielt, auch wahrnehmen. Dies ist ein Trugschluss. Würde unser Gehirn alle Sinneseindrücke verarbeiten, wären wir von der Fülle an Informationen völlig überfordert und zugleich unfähig zu handeln. Das, was wir aus der Umwelt bewusst wahrnehmen, ist nur selektiv und basiert maßgeblich darauf, auf welche Aspekte wir unseren Aufmerksamkeitsfokus legen. Dabei spielen unsere Erfahrungen eine große Rolle, die wir bisher in ähnlichen Situationen gemacht haben.
Ein eindrückliches Experiment hierzu wurde bereits 1999 veröffentlicht, siehe Quelle und YouTube-Video: The Invisible Gorilla.
Entscheidungsmüdigkeit
Entscheidungen treffen ist anstrengend und macht müde. Unser Gehirn arbeitet dabei auf Hochtouren, um zwischen allen Daten/Fakten/Stimmen abzuwägen. Ausgeschlafen und konzentriert treffen wir am Morgen tendenziell mutigere Entscheidungen als am Abend.
Fazit: Die Art unserer Entscheidungen unterscheiden sich maßgeblich, je nachdem ob wir sie am Morgen oder am Abend treffen. Folglich kann es sich lohnen, andere Personen eher am Morgen um eine Entscheidung zu bitten, wenn sie positiv ausfallen soll.
Für sich selbst kann es sinnvoll sein, vorschnelle Entscheidungen zu vermeiden, indem wir “eine Nacht drüber schlafen”, was tatsächlich im Wortsinne sehr nützlich sein kann.
Kontrasteffekt
Werden uns zwei Dinge dargeboten, die unterschiedlich – also kontrastreich – sind, nehmen wir diese Unterschiede intensiver wahr, als wenn sie uns einzeln begegnen. Der Grund: Wir haben Schwierigkeiten mit absoluten Vergleichen. So erscheint uns mittelmäßige Qualität neben schlechter Qualität höherwertiger und teure Produkte neben noch viel teureren preisgünstiger als sie tatsächlich sind.
Der Kontrasteffekt wirkt in ganz unterschiedlichen Bereichen, wie bei der Beurteilung von Äußerlichkeiten von Menschen. So zeigen antike Münzen von Kleopatra keine Frau von außergewöhnlicher Schönheit. Kleopatra soll sich jedoch von Frauen (Dienerinnen und Tänzerinnen) umgeben haben, die dem damaligen Schönheitsideal noch viel weniger entsprochen haben sollen als sie selbst. Kleopatra nutzte den Kontrasteffekt offenbar für sich – so wirkte sie wohl attraktiver, als sie es objektiv betrachtet gewesen sein mag.
Storytelling Bias
Alte Überlieferungen, die kollektive Erfahrungen, Wissen und Werte beinhalten, wurden über Jahrhunderte durch Geschichten weitererzählt und haben Gemeinschaften zusammengehalten. Diese Geschichten sind plausibel, in sich geschlossen und mit Details ausgeschmückt, so dass sie unser Interesse wecken. Sie lösen Gefühle in uns aus und wir können sie uns bildhaft vorstellen.
Wir sollten uns aber fragen wie solche Geschichten entstanden sind: Informationen, die nicht in den logischen Ablauf der Geschichte passen, werden verändert. Andere Informationen werden neu erfunden, um die Geschichte aufregend zu gestalten.
Fesselnde Geschichten und lebhaftes Erzählen sprechen unsere Gefühle an; unser Gedächtnis speichert diese Informationen bereitwillig und langfristig ab. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt der Ereignisse und Handlungen, die diesen Geschichten zugrunde liegen, ist hingegen oft gering. Entscheidungen, die wir treffen, sollten deshalb nicht vorschnell auf Basis dieser Geschichten getroffen werden, da sie uns keine verlässliche Analyse der realen Welt erlaubt.
Welche psychologischen Denkfehler können dir bei der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten passieren?
Prävalenzfehler
Vernachlässigen wir bei der Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten die Grundverteilung von Merkmalen (wie häufig also ein Merkmal, eine Personeneigenschaft oder Begebenheiten in der Allgemeinbevölkerung vorkommt), kommt es zu einem typischen Denkfehler, wie das folgende Beispiel zeigt: Lesen Sie bitte folgende Aussage: “Daniel ist ein sportlicher Mann, der gerne liest”. Welche der beiden Alternativen ist diesbezüglich wahrscheinlicher?
A: “Daniel ist ein kaufmännischer Angestellter” oder:
B: “Daniel ist ein Sportlehrer an einer hamburger Schule”
Die meisten Menschen tippen intuitiv auf die Option B. Allerdings gibt es viel mehr kaufmännische Angestellte in Deutschland als Sportlehrer in Hamburg. Ein Detail, dass inhaltlich zur ersten Information passt, verleitet uns zu einem Fehlschluss, bei dem wir aber die statistische Wahrscheinlichkeit außer Acht lassen. Option A ist also viel wahrscheinlicher und damit korrekt.
Welche psychologischen Denkfehler können dir bei der Einschätzung von Risiken passieren?
Schwarzer Schwan
“Wir wissen nicht, was wir nicht wissen”: Mit diesem Satz verdeutlicht Taleb in seinem Buch “Der Schwarze Schwan” den gleichnamigen Denkfehler. Ein “Schwarzer Schwan” steht sinnbildlich für ein höchst unwahrscheinliches, aber eben nicht vollkommen unmögliches Ereignis – im positiven wie im negativen Sinne. Wir können solche Extreme nicht einkalkulieren, weil wir sie nicht kennen. Tritt ein solches Extrem dann aber tatsächlich ein, kann es enorme gesellschaftliche Folgen haben und damit auch unser alltägliches Leben stark beeinflussen. Historische Ereignisse sind ein Beispiel für “Schwarze Schwäne” (“z.B. der “11. September” oder der “Lockdown” während der COVID-19-Pandemie) oder auch große Erfindungen (z.B. Flemings zufällige Entdeckung des Penicillins). Aber auch jeder einzelne von uns kann theoretisch einem “Schwarzen Schwan” begegnen (wie u.a. der Karriereweg von Georg R.R. Martin zeigt).
Da die Vernetzung und die Abhängigkeit der globalen Welt immer weiter zunehmen, wird die Wahrscheinlichkeit oder das Risiko “Schwarzer Schwäne” in Zukunft wohl eher zu- als abnehmen und damit auch die Komplexität und Unsicherheit für unser eigenes Leben.
Welche psychologischen Denkfehler können dir bei der Strategieentwicklung passieren?
Handlungsneigung
Sobald wir vor unklaren, unübersichtlichen Situationen stehen, die wir nicht gut einschätzen können, haben wir den Drang etwas zu tun – egal was – auch, wenn unser Handeln voraussichtlich nutzlos ist oder sogar Schaden anrichten würde.
Stellen wir uns das simple Beispiel eines Torwartes vor: Elfmeterschützen zielen statistisch gesehen in gleicher Häufigkeit je in die linke oder rechte Ecke oder in die Mitte des Tores. Trotzdem bleibt kaum ein Torwart einfach stehen, obwohl er den Ball in der Mitte des Tores vielleicht sogar besser abwehren könnte, weil er dies nicht aus dem Flug heraus tun müsste.
Das Gefühl, aktiv ins Geschehen eingegriffen zu haben, beruhigt jedoch und wird als kompetent gewertet – auch, wenn am Ende kein Erfolg steht. Man stelle sich zudem die Reaktion der Zuschauer beim Anblick eines Torwartes vor, der nicht aktiv ins Geschehen eingreift, während der Elfmeterschütze seelenruhig ins Eck schießt. Die Schuld für das gefallene Tor wird wohl eifrig dem Torwart zugeschrieben – das Wissen um die ⅓ der Fälle, in denen der Ball gehalten worden wäre, ändert nichts. Ähnlich verhalten auch wir uns in alltäglichen Stresssituationen, die uns im Beruf und im Privaten begegnen.
Insbesondere in unübersichtlichen, unklaren und Stress auslösenden Situationen sollten wir indes viel eher mit Bedacht handeln: Abwarten, unsere Sinne schärfen und Informationen sammeln, so dass wir die Lage besser einschätzen können. Erst dann sollten wir zielgerichtet agieren.
Welche psychologischen Denkfehler können dir bei der Bewertung einer Entscheidung aus der Vergangenheit heraus passieren?
Ergebnisverzerrung
Ob eine Entscheidung gut oder schlecht war, sollte nie anhand des Ergebnisses bewertet werden. Auch einem schlechten Ergebnis kann eine gute Entscheidung vorausgegangen sein. Es gibt Dinge, die sich im Vorfeld nur unzureichend vorhersehen lassen. Unbeeinflussbare Umstände und nicht zuletzt der Zufall beeinflussen einen Prozess und damit das Ergebnis. Eine Bewertung vergangener Entscheidungen sollte daher nur anhand des Entscheidungsprozesses bewertet werden. Möglicherweise haben wir alles richtig gemacht, auch wenn das Ergebnis negativ ist. Stehen wir erneut vor einer ähnlichen Entscheidung, kann es also richtig sein, genauso wieder zu handeln, auch wenn das Ergebnis nicht danach aussieht.
Erinnerungsverfälschung
Unser Gedächtnis ist manipulierbar. Bereits abgespeicherte Erinnerungen können durch verschiedene psychologische Mechanismen (z.B. Stress, Angst oder Erschöpfung) oder durch externe Faktoren (Hypnose oder Suggestion) verändert und damit verfälscht werden. Immer, wenn wir uns an etwas erinnern, wird diese Erinnerung durch unsere momentane Stimmung oder durch neue Informationen, die wir vorher noch nicht hatten, verändert. Auf diese Weise passen wir unbewusst die vergangenen Ansichten den heutigen an und so korrigieren wir unsere Erinnerungen aus der Vergangenheit.
Im juristischen Kontext spielt die Erinnerungsverfälschung eine besonders bedeutende Rolle: So stehen Augenzeugen oft unter enormem Stress, auch wenn sie nicht selbst Opfer sind. Sie durchleben die Situation in der Erinnerung immer wieder. Diese Erinnerung ist dabei sehr leicht beeinflussbar. Durch andere Augenzeugenberichte, durch (suggestive) Fragetechniken der Polizei oder durch Medienberichte können sie leicht verfälscht werden.
Handlungsempfehlungen zur Entscheidungsfindung wurden bereits dargelegt. Die vollständige Kategorisierung der einflussreichsten Denkfehler findest du in dem Ebook 500 TAKTIKEN.